Die Sorgen der letzten Monate werden zur Realität: Mehrere Krankenhäuser haben in den vergangenen Wochen ein Schutzschirmverfahren beantragt. Die Geschäftsführer Christian Eckert und Prof. Christian Wallwiener von WMC Healthcare über die Zukunft der Gesundheitsversorgung.
Spätestens seit der Corona-Krise sagten Expert*innen regelmäßig eine Insolvenzwelle voraus. Lange blieb es bei dieser Warnung. Befinden wir uns jetzt am Beginn eines Tsunami?
Christian Eckert (CE): Den Krankenhäusern ging es bereits vor der Pandemie schlecht. Schon 2019 war es kurz vor zwölf. Viele Kliniken hatten begonnen, an Umstrukturierungen zu arbeiten. Dann kam Corona und die Pläne wurden – verständlicherweise – auf Eis gelegt. In dieser Phase haben die Unterstützungsleistungen vom Bund vorübergehend den Druck aus dem Kessel genommen.
Christian Wallwiener (CW): Zusätzlich sind durch Corona eine Vielzahl an stationären Fällen weggebrochen. Und es zeigt sich, dass die Fallzahlen sich nicht vollständig erholen werden. Während der Pandemie ist viel Geld ins System geflossen und trotzdem sind die Probleme größer geworden. Jetzt ist die Zeit für mutige Veränderungen, denn selbst wenn noch genug Kapital vorhanden wäre: Geld allein kann es offensichtlich nicht richten.
WMC begleitet einige Häuser in so genannten Planinsolvenzen, z.B. das Diako Krankenhaus Flensburg, die katholischen Nord-Kreis Kliniken Linnich und Jülich sowie das Krankenhaus in Spremberg, wo Christian Eckert als Generalbevollmächtigter vor Ort war. Wie sind die Erfahrungen mit diesen Schutzschirmverfahren?
CE: Es bestätigt sich, was wir immer gesagt haben: Eine Insolvenz, gerade in Eigenverwaltung, bei der die Geschäftsführung voll handlungsfähig bleibt, kann eine große Chance für die Sanierung sein. Nehmen wir das Krankenhaus in Spremberg, auch wenn es kein typisches Beispiel ist. Denn das Haus gehört mehrheitlich den Mitarbeitenden. Diese positive Bindung ans Krankenhaus erleichtert das Verfahren. Dort haben wir gemeinsam mit den Beschäftigten und großer Unterstützung aus dem Brandenburger Gesundheitsministerium in wenigen Wochen eine komplett neue Struktur geschaffen. Es wird eine 24-Stunden-Notfallversorgung geben. Rund um die etablierte Fachklinik für Psychiatrie wird eine Poliklinik mit Facharztzentrum entstehen. Hinzu kommen Kooperationen mit den umliegenden Krankenhäusern. So sichern wir die Primärversorgung der Bevölkerung. Wir greifen hier Ideen aus dem Koalitionsvertrag auf, die bisher bundespolitisch noch nicht umgesetzt sind. Daher ist die Finanzierung einiger Aspekte, z.B. der an die Notaufnahme angegliederten Kurzliegerstation, nicht abschließend geklärt. Es wird aber Lösungen dafür geben, denn auch das Ministerium hält die geplante Struktur für ein zukunftsträchtiges Modell.
Christian Eckert verfügt über mehr als 20 Jahre Management- und Consultingerfahrung im Gesundheitswesen. Vor seiner Zeit bei WMC war er in leitender Funktion bei internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaften sowie für private Krankenhausbetreiber tätig. Er ist Diplom-Kaufmann der Universität Passau und spezialisierte sich mit einem MBA im Bereich Healthcare.
In der Vergangenheit ist die Umwandlung von Krankenhäusern in ambulante Gesundheitszentren immer wieder gescheitert, weil der Protest der Medien, der Bürger*innen und der Politik zu groß war. Wie kann man die Bevölkerung davon überzeugen, dass der weitgehende Wegfall einer stationären Versorgung nicht das Ende des örtlichen Krankenhauses, sondern der Beginn einer guten wohnortnahen Versorgung ist?
CE: Indem wir Präzedenzfälle schaffen. Wenn Spremberg funktioniert, könnte es künftig Vorbild für andere Regionen sein.
CW: Wir brauchen eine Revolution in unseren Köpfen: Der Begriff „Krankenhaus“ muss völlig neu definiert werden. Sonst werden wir nicht erfolgreich sein. An vielen Orten in Deutschland wird das Krankenhaus zukünftig ein Gesundheitszentrum sein. Dort gibt es dann große Facharztkonglomerate, ambulante OP-Zentren und andere medizinische, aber auch therapeutische und pflegerische Angebote wie beispielsweise Kurzzeitpflege für die nächtliche Versorgung nach Eingriffen − ohne die volle Vorhaltung einer stationären Versorgung. Betreiber dieser Gesundheitszentren werden die ehemaligen Krankenhausträger sein – mit starken Partnern, z.B. großen Praxisketten, an ihrer Seite. Auch beim Personal werden die Grenzen zwischen ambulant und stationär immer mehr verwischen: Ambulant tätige Ärzt*innen werden auch weiterhin Teil der stationären Versorgung sein.
Was muss geschehen, dass auch in den kommenden Jahren flächendeckend eine hochwertige Gesundheitsversorgung der Bevölkerung möglich ist?
CW: Es ist immer eine Trias, in der wir denken müssen, wenn man eine Region versorgen will. Erstens: Ambulantisierung. Am Tag wird ambulant behandelt und im Bedarfsfall auch „interveniert“ – beispielsweise operativ. Aber wir brauchen auch die Möglichkeit, dass z.B. ältere Menschen in der Nacht „bekümmert“ werden. Dafür werden ganz neue Strukturen benötigt und die sind eher nicht im Krankenhaus, sondern im Pflegebereich angesiedelt.
CE: Die zweite Ebene ist die Digitalisierung. Darin stecken viele Chancen. Patient*innen, die aufgeklärt zum Eingriff erscheinen und genau wissen, was sie im Krankenhaus erwartet, weil sie z.B. online einen Videofilm über die einzelnen Therapieschritte anschauen konnten. Ärztliche Zweitmeinungen, die digital eingeholt werden. Bis hin zu telemedizinischen Angeboten – wie beispielsweise einer Digital-Triagierung von Patienten zur Vermeidung eines Besuchs der Notaufnahme oder eben der digitalen Unterstützung von Grundversorgern durch Tele-Experten bei einem unerwartet komplizierten Verlauf eines Patienten oder in der Notaufnahme oder sogar einer teleintensivmedizinischen Betreuung. Und auch Pflegekräfte können durch automatische Dokumentation oder digitale Lösungen entlastet werden.
CW: Der dritte Punkt in dieser Trias sind klare Behandlungspfade mit einem gestuften Vorgehen sowie sehr gut organisierten Notaufnahmen. Ein Haus mit zentraler Notaufnahme entscheidet dann innerhalb der ersten Minuten, wie die Patientenreise weiter geht. Braucht es eine stationäre Aufnahme oder ist die Behandlung ambulant möglich? Handelt es sich um Grundversorgung und welche Klinik ist dann die richtige? Oder benötigt die/der Patient*in die hochspezialisierte Medizin einer Uniklinik?
Klar ist aber auch, ohne die lang ersehnte Gesundheitsreform wird es nicht gehen. Die Eckpunkte hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach Anfang Dezember vorgestellt. Wird das die Klinken aus der Krise katapultieren?
CE: Der Ansatz ist interessant und greift einiges auf, was wir schon länger als notwendig erachten: z.B. Vorhaltepauschalen. Wir müssen aufpassen, dass das Gleichgewicht stimmt und wir nicht vollständig in einer Planwirtschaft landen. Leistungsanreize sind weiterhin erforderlich, denn diese sorgen für Wettbewerb und führen nachweislich zu einer höheren Behandlungsqualität.
CW: Abgestimmte Versorgungsaufträge innerhalb einer Region sind wichtig und sinnvoll. Aber die Reform lässt bislang offen, wer über die Rollen entscheidet. Wer steht den kommunalen und konfessionellen Trägern zur Seite, wenn sich ein Haus künftig auf ambulante Versorgung konzentrieren soll? Hier braucht es klare Vorgaben, z.B. durch die Länder, denn sonst wird der Druck, der durch Bürgerentscheide, Medien oder Lokalpolitiker aufgebaut wird, dazu führen, dass die Umwandlung in andere Versorgungsformen in vielen Fällen scheitert.
Prof. Dr. Christian Wallwiener ist seit mehr als 15 Jahren im Gesundheitswesen tätig. Vor der Gründung von WMC Healthcare war er bei einer internationalen Unternehmensberatung beschäftigt. Er ist Arzt mit klinischer Ausbildung an der TU München, der Harvard University und der Oxford University und habilitierte sich im Fach Experimentelle Gynäkologie.
Was können Krankenhäuser aus sich heraus jetzt schon tun, um den enormen wirtschaftlichen Herausforderungen zu begegnen?
CW: Die Häuser brauchen eine ganz andere Steuerungslogik. Lange ging es darum, mehr Leistung zu bringen, noch mehr anzubieten und dabei hat sich das Behandlungsangebot immer stärker fragmentiert. Jetzt ist wichtig, sich auf einen stabilen operativen Kern zu konzentrieren. Wie viele Belegtage kann ich mit meinen Pflegekräften aktuell leisten? Mit wie vielen OP- oder Beatmungsstunden auf der Intensivstation kann ich planen? Und welche Versorgungsaufgaben kann und will ich damit erbringen? Es ist unerlässlich, diese Kapazitäten im Alltag ständig und verbindlich aufeinander abzustimmen. Dreht man nur an einem Rad, erhöht sich das Chaos, aber nicht die Effizienz. Dafür müssen die Geschäftsführung und die Steuerungsverantwortlichen viel näher ran an die produktiven Bereiche.
Wie kann das gelingen?
CE: Bei WMC haben wir uns zusammen mit unserem Schwesterunternehmen Miralytik intensiv damit beschäftigt, wie man diese Logik in aktuellen Steuerungskennzahlen abbildet und in einen Wirkzusammenhang bringt. Die Analyse dieser Daten gehört zu jeder Verbesserung der Kernprozesses. Was sich verändert hat, ist die Art, wie wir sie interpretieren. Früher ging es häufig darum, Personalabbau umsetzbar zu machen. Heute konzentrieren wir uns darauf, die Patienten, die ins Haus drängen, mit dem Personal, das zur Verfügung steht, gut zu versorgen. Dadurch hat sich der klassische Optimierungsansatz verändert. Es geht immer mehr um Hilfe zur Selbsthilfe. Wir stellen ein Datencockpit zusammen, coachen aber vor allem die Führungskräfte dabei, diese Zahlen zu interpretieren und die richtigen Handlungen daraus abzuleiten.
Im Mai 2023 werden Sie zum dritten Mal gemeinsam mit der Hospital Management GmbH den ZKNFT-Kongress ausrichten. Ist Veranstaltungsmanagement eine neue Kernkompetenz von WMC?
CW: Nein, wir werden sicher in diesem Leben keine Eventmanager mehr. Es ist uns aber ein Herzensanliegen, nicht immer nur über die schlechten Rahmenbedingungen zu jammern, sondern die Zukunft des Gesundheitswesens aktiv mitzugestalten. Unser Ansatz: Wir bringen Menschen aus verschiedenen Bereichen zusammen, die sich sonst eher in ihren „Silos“ tummeln. Durch die vielen Perspektiven auf die gleichen Probleme, die bei ZKNFT zusammenkommen, fordern und fördern wir einen konstruktiven Austausch und bieten eine Plattform, um einem breiteren Publikum gute und innovative Lösungen und Ideen zu präsentieren. Das ist sehr inspirierend – für uns und offenbar auch für die Teilnehmer, denn das Interesse für die Veranstaltung im kommenden Jahr ist bereits groß. Das freut uns und zeigt, dass wir mit diesem Konzept dicht am Puls dessen sind, was Krankenhausmanager*innen, Digitalisierungspezialist*innen und andere Technologieanbieter*innen, Kostenträger und Gesundheitspolitiker*innen aktuell bewegt.
Quelle: kma Online/WMC Healthcare