AG Gesundheit und Pflege – Künftige Koalition setzt auf Reformen in Gesundheitspolitik

Die künftige Regierungskoalition plant massive Finanzspritzen für Kliniken: Vier Milliarden Euro Soforthilfe sollen Liquiditätsengpässe beheben. Gleichzeitig werden Kranken- und Pflegekassen entlastet, um das System zu stabilisieren.

Die Verhandlungsgruppe von CDU/CSU und SPD hat ihr elfseitiges Papier mit Vorschlägen zu künftigen Reformen im Gesundheitswesen an die Parteispitzen übermittelt. Ein paar strittige Punkte sollen jetzt in der übergeordneten Hauptverhandlungsgruppe beraten werden. Im Großen und Ganzen besteht jedoch Einigkeit bei den möglichen Koalitionspartnern. 

Neben der Unterstützung für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und für die Soziale Pflegeversicherung (SPV), die in finanzieller Bredouille steckt und im Jahr 2024 ein Defizit von 1,54 Milliarden Euro aufweist, sind auch viele tiefgreifende strukturelle Reformen angedacht – so bezeichnet es die AG 6 „Gesundheit und Pflege“ selbst. Folgende Schwerpunkte im Gesundheitswesen hat die schwarz-rote Regierung in spe in dem am 26. März bekanntgewordenen Papier gelegt, das kma vorliegt:

Krankenhausreform: bedarfsgerechte Versorgung und Soforthilfen

Die geplante Krankenhausreform wird mit längeren Fristen fortgesetzt. Bis zum Sommer sollen alle gesetzlichen Regelungen vorliegen. Um die Grund- und Notfallversorgung – insbesondere im ländlichen Raum – sicherzustellen, ist geplant, den Ländern Ausnahmen und erweiterte Kooperationen zuzugestehen. Zudem soll kurzfristig Geld an die Kliniken fließen, um bedarfsnotwendigen Krankenhäusern finanzielle Stabilität zu geben: Insgesamt vier Milliarden Euro für die beiden Jahre 2022 und 2023 sollen die Lücken bei der Betriebskostenfinanzierung stopfen.  

Dort, wo es medizinisch sinnvoll ist, werden die Leistungsgruppen in Bezug auf ihre Leistungs- und/oder Qualitätsvorgaben verändert. 

Die Definition der Fachkrankenhäuser wird so überarbeitet, dass die in den Ländern bestehenden Fachkliniken erhalten bleiben können. Die 60 Leistungsgruppen aus NRW werden – ergänzt um die spezielle Traumatologie – festgeschrieben. „Dort, wo es medizinisch sinnvoll ist, werden die Leistungsgruppen in Bezug auf ihre Leistungs- und/oder Qualitätsvorgaben verändert.“

Innerhalb von sechs Monaten will die neue Regierung eine Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg bringen, mit dem die Prüfquote bei den Krankenhäusern gesenkt und bei den Niedergelassenen eine Bagatellgrenze von 300 Euro bei der Regressprüfung eingeführt wird. Auch die Dokumentationspflichten und Kontrolldichten sollen so verringert werden.

Für energetische Sanierung, Digitalisierung und Investitionen in die Krankenhaus-, Hochschulklinik- und Pflegeinfrastruktur werden ab 2026 jährlich 1,2 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen Infrastruktur bereitgestellt.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) ließ gegenüber kma verlautbaren, dass sie positiv anerkennt, „dass die Inflationslücke endlich berücksichtigt wird, auch wenn das Problem nicht nachhaltig gelöst ist“. Die geplanten Anpassungen der Reform stoßen ebenfalls auf positive Resonanz. „Allerdings lassen viele Punkte Raum für Interpretationen“, die es nachzuschärfen gilt, wenn das Ministerium besetzt ist.

Pflegegesetze in den nächsten 100 Tagen

Eine große Pflegereform zu erarbeiten, steht auf der Agenda der neuen Regierung ganz vorne. Dabei ist angedacht, pflegebedingte Eigenanteile zu begrenzen und pflegende Angehörige zu stärken. Bestehende Leistungen sollen gebündelt und die sektorübergreifende pflegerische Versorgung gestärkt werden. Auch auf der Agenda steht der Aufbau neuer Versorgungsangebote und die Entwicklung stambulanter Modelle.

Binnen von 100 Tagen sollen die bestehenden Entwürfe des Pflegekompetenzgesetzes und des Pflegefachassistenzgesetzes sowie das Gesetz zur Einführung der Advanced Practice Nurse (APN) verabschiedet werden.

Im Bereich der Pflege spricht man sich in der AG klar dafür aus, dass die Eigenverantwortlichkeiten gestärkt und die Selbstverwaltung aufgewertet werden soll. Das wird unter anderem durch einen festen Sitz mit Stimmrecht im Gemeinsamen Bundesausschuss gewährleistet.

Der Deutsche Pflegerat (DPR) begrüßt die geplanten Gesetzesinitiativen zur Stärkung der Pflegeberufe, insbesondere die Einführung des Pflegekompetenz-, Pflegefachassistenz- und APN-Gesetzes sowie die geplante Pflegereform und Bürokratieentlastung. DPR-Präsidentin Christine Vogler sieht darin wichtige Signale für die Pflege, bemängelt jedoch die fehlende Anerkennung der Pflege als eigenständige Säule im Gesundheitssystem und fordert eine stärkere Einbindung der Pflege in Entscheidungsprozesse, etwa durch die Beteiligung an der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Pflegereform.

Ambulante Versorgung: Primärarztsystem und Termingarantien

Um den Facharztzugang zu beschleunigen, plant die neue Regierung ein verbindliches Primärarztsystem mit freier Wahl von Haus- und Kinderärzten. Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) werden verpflichtet, notwendige Facharzttermine – mit Termingarantie – zu vermitteln. Gelingt dies nicht, wird der Facharztzugang im Krankenhaus ambulant ermöglicht.

Die sektorübergreifende Versorgung soll durch Weiterentwicklung der Hybrid-DRG und ein Regulierungsgesetz für investorenbetriebene MVZ gestärkt werden. Das Honorarsystem der niedergelassenen Ärzte soll in Richtung Jahrespauschalen verändert werden. In unterversorgten Gebieten werden Fachärzte entbudgetiert. Die Länderbeteiligung in den Zulassungsausschüssen und eine kleinteiligere Bedarfsplanung werden ausgebaut.

In den ersten 100 Tagen ist zudem angedacht, eine gesetzliche Regelung zu schaffen, um Ärzte im KV-Bereitschaftsdienst von der Sozialversicherungspflicht zu befreien. In diesem Zeitraum will die neue Regierung auch die Gesetze zur Notfall- und Rettungsdienstreform auf Grundlage der bisherigen Entwürfe auf den Weg bringen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) begrüßt die geplante Patientensteuerung, die Entbudgetierung von Fachärzten, die Regressprüfung erst ab 300 Euro sowie die steuerliche Finanzierung der Beiträge für Bürgergeldempfänger.

Finanzielle Stabilisierung von Pflege- und Krankenkassen

Die geplante Koalition will die finanzielle Stabilität der Pflege- und Krankenkassen sichern. Dazu übernimmt der Bund versicherungsfremde Leistungen wie Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige sowie die Ausbildungsumlage. Zudem werden pandemiebedingte Entnahmen aus dem Ausgleichsfonds zurückerstattet und die Sonderfinanzierung in Sachsen mit 5,22 Milliarden Euro Steuermitteln beendet. Dies werde mit einmalig 5,22 Milliarden Euro an benötigten Steuermitteln beziffert. Die Beiträge für Bürgergeldempfänger werden laut dem Papier vollständig aus Steuermitteln finanziert – bereits ab diesem Jahr. Das würde die GKV jährlich um 10 Milliarden Euro entlasten. Zudem solle der Bundeszuschuss künftig entsprechend der Entwicklung der beitragspflichtigen Einnahmen dynamisiert werden. Der bisher für die GKV vorgesehenen Anteil für den Umbau der Krankenhauslandschaft soll aus dem Sondervermögen Infrastruktur mit jährlich 2,5 Milliarden Euro teilfinanziert werden.

Die Gesamtkosten dieser Entlastungsmaßnahmen für SPV und GKV werden laut AG „Gesundheit und Pflege“ für dieses Jahr auf 12,6 Milliarden Euro Steuermittel geschätzt und dürften in den Folgejahren steigen.

Seitens der Kassen reagierte man auf diese Entlastungen mit Erleichterung. „Insbesondere die Maßnahmen zur Stabilisierung der Beitragssätze finden dabei unsere klare Zustimmung“, erklärte Jürgen Hohl, Geschäftsführer des IKK e.V. Der GKV-Spitzenverband will das Papier nicht bewerten, erklärt aber gegenüber kma: „Mit dem im Zuge der Verfassungsänderung beschlossenen Finanzpaket hat der Bund die Möglichkeit geschaffen, um endlich seine Schulden gegenüber der sozialen Pflegeversicherung zu begleichen und die GKV von gesamtstaatlichen Aufgaben zu entlasten. Es ist ein gutes Signal, dass die Koalitionsarbeitsgruppe genau dies für den Koalitionsvertrag vorgeschlagen hat. Nun wird es darauf ankommen, ob die künftige Koalition dies auch wirklich macht. Aber einfach immer mehr Geld ist keine Dauerlösung, wir brauchen grundlegende Strukturreformen, da sich die Beitragsspirale sonst weiterdreht und die finanzielle Belastung für Arbeitende und Versicherte absehbar weiter steigen wird.“ Der Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes fordert daher ein Ausgabenmoratorium, bis die notwendigen Strukturreformen greifen.

Quelle: Alexandra Heeser (Freie Journalistin) 2025. Thieme