Klinikum Aschaffenburg – Sind Sie zu kreativ fĂŒr die deutsche Tarifwelt, Herr Lehotzki?

Um Erfolgsprojekte wie seine E-Dienstwagen sichern und neue Arbeitszeitmodelle bieten zu können, will das Klinikum Aschaffenburg eine Tochter grĂŒnden. GeschĂ€ftsfĂŒhrer Sebastian Lehotzki muss gerade viel erklĂ€ren, denn der Plan hat eine konfliktreiche Vorgeschichte.

Der vergangene Donnerstag war ein guter Tag fĂŒr Sebastian Lehotzki. Er war stressig und prall gefĂŒllt, aber es ging voran. Endlich mal wieder. Der GeschĂ€ftsfĂŒhrer des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau kĂ€mpft einen langwierigen Kampf. Er kĂ€mpft fĂŒr seine Erfolgsprojekte, neue Ideen seines Teams und gegen ein Defizit, das sich in diesem Jahr wohl auf 40 Millionen Euro belaufen wird.

Am besagten Donnerstag wurden im Aufsichtsrat und in der Verbandsversammlung des kommunalen Hauses in Unterfranken vielleicht entscheidende Weichen gestellt. Lehotzki stieß bei den Gremien an diesem 19. September auf offene Ohren fĂŒr eine 100-prozentige Tochtergesellschaft, in der er BeschĂ€ftigte kĂŒnftig zu flexibleren und teilweise besseren Konditionen, wie er sagt, anstellen will.

Verbandsversammlung könnte Ende Oktober entscheiden

Direkt im Anschluss stand noch eine Mitarbeiterversammlung auf dem Programm, bei der Lehotzki auch den BeschĂ€ftigten seine VorschlĂ€ge erklĂ€rte. Denn es gibt viel zu erklĂ€ren, zu informieren und zu beruhigen in diesen Tagen. Anfang der Woche hatte der Klinikchef die PlĂ€ne schon im Kreistag des Landkreises Aschaffenburg prĂ€sentiert und einstimmige UnterstĂŒtzung erhalten, wie er im GesprĂ€ch mit kma sagt.

In den nĂ€chsten vier Wochen soll nun ein Beschluss vorbereitet werden, die besagte Tochtergesellschaft auszugrĂŒnden, eine Arbeits- und Sozialordnung vorzustellen und BeschĂ€ftigte, die sich freiwillig dafĂŒr entscheiden, in die neue Gesellschaft zu integrieren. Die nĂ€chste Verbandsversammlung, die darĂŒber befinden könnte, ist fĂŒr Ende Oktober terminiert.

Das Konstrukt wird nötig, weil insbesondere das Dienstwagenprojekt, mit dem das Klinikum seit 2022 fĂŒr Aufsehen sorgte und das Lehotzki 95 neue VollkrĂ€fte in der Pflege bescherte, gegen das Tarifrecht verstĂ¶ĂŸt. Der Kommunale Arbeitgeberverband (KAV) Bayern, dem das Klinikum angehört, sieht darin eine unzulĂ€ssige ĂŒbertarifliche Leistung und damit einen Satzungsverstoß. Er erteilte eine RĂŒge und forderte die Klinikleitung auf, das Angebot fĂŒr die E-Fahrzeuge einzustellen.

Genau das ist fĂŒr Lehotzki und sein Team allerdings ĂŒberhaupt keine Option. Um sich von den ZwĂ€ngen des Tarifvertrags fĂŒr den öffentlichen Dienst (TVöD) oder des Marburger Bund Tarifvertrages zu befreien, erklĂ€rte das Haus deshalb Anfang Juli den Austritt aus dem KAV und plante eine Arbeits- und Sozialordnung, um die zukĂŒnftige Gehalts- und Tarifstruktur zu regeln. Dumm nur, dass das Vorhaben publik wurde, bevor ein finales Konzept vorlag. Ein kommunikativer Gau.

 

Klinikum bleibt im Arbeitgeberverband

Der Widerstand der Gewerkschaften war groß, sie warfen dem Klinikum unter anderem Tarifflucht vor. Es wurde hitzig diskutiert, protestiert und demonstriert, auch Lehotzkis Abberufung wurde gefordert. Die Sorgen und BefĂŒrchtungen der Belegschaft und der wachsende politische Druck zwangen schließlich zur Kehrtwende: Das Klinikum zog die KAV-KĂŒndigung zurĂŒck und bleibt doch im Arbeitgeberverband.

Nun soll die neue Tochtergesellschaft möglich machen, was Lehotzki im Rahmen der TarifvertrĂ€ge nicht umsetzen kann. KĂŒnftig sollen die mehr als 2500 Mitarbeitenden wĂ€hlen können, ob sie weiterhin zu den bisherigen Bedingungen des FlĂ€chentarifvertrags im Klinikum arbeiten oder bei der Tochter angestellt sein möchten. „Jeder entscheidet absolut freiwillig“, betont Sebastian Lehotzki. Diese Wahlfreiheit werde obendrein unbegrenzt gelten, auch eine RĂŒckkehr in den TVöD solle möglich sein. Das Gleiche werde im ĂŒbrigen neuen Mitarbeitenden sowie kĂŒnftigen BeschĂ€ftigten aus dem Ausland angeboten, versichert das Klinikum – man lege großen Wert auf die Gleichbehandlung aller Mitarbeitenden. 

Bei den E-Autos haben auch alle den Haken gesucht. 

Dass viele auf seine Ideen mit Skepsis reagieren, ist fĂŒr den Klinikchef nicht neu. Bei den E-Autos war es genauso. „Da haben auch alle den Haken gesucht“, sagt Lehotzki. Auch jetzt betont er mantraartig, mit einem Wechsel in die Tochtergesellschaft werde niemand schlechter gestellt – „auf gar keinen Fall“. Das hatte er schon fĂŒr den KAV-Austritt versichert. Bei Löhnen, GehĂ€ltern, Zusatzversorgung und Altersvorsorge, Urlaubs- und Arbeitszeiten hĂ€tte sich nichts verĂ€ndern sollen.

Alles andere entspreche auch nicht seiner Denke, insbesondere als Betriebswirt, sagt Lehotzki: „Weil ich genau weiß, dass, wenn ich jemanden schlechter stelle, die alle ins Nachbarhaus gehen.“ DafĂŒr sei der Markt zu hart umkĂ€mpft. Alle kĂŒnftigen Regelungen sollen deshalb auf dem TVöD beziehungsweise dem Tarifvertrag des Marburger Bundes basieren. Es werde keine eigenen Entgeltgruppen geben, Tariferhöhungen wĂŒrden automatisch mitgemacht. 

Die Tarifwelt entspricht nicht mehr der heutigen Arbeitswelt. 

Ihm gehe es allein um flexiblere und attraktivere Arbeitsbedingungen, um Mitarbeitende zu halten und neue zu gewinnen, betont der GeschĂ€ftsfĂŒhrer. Nur so bekomme das Haus eines seiner grĂ¶ĂŸten Probleme in den Griff: die Kosten der ArbeitnehmerĂŒberlastung, die im vergangenen Jahr bei 24 Millionen Euro lagen.

Stattdessen solle neues eigenes Personal LĂŒcken schließen oder eben mehr arbeiten können, wer freiwillig dazu bereit sei, damit das Klinikum die Leistungen ausweiten kann. „Aber die Tarifwelt entspricht nicht mehr der heutigen Arbeitswelt“, kritisiert Lehotzki, dessen Vertrag bis 2029 lĂ€uft. Der Arbeitsmarkt verĂ€ndere sich, und mit den aktuellen Instrumenten, die ein Tarifvertrag mit sich bringe, sei es nicht möglich, dem gerecht zu werden und zum Beispiel New-Work-AnsĂ€tze zu verfolgen.

FĂŒr die BeschĂ€ftigten der neuen Tochter werde es auch kĂŒnftig das Dienstwagenprojekt oder andere Angebote geben, betont das Klinikum. Geplant sind etwa ZuschĂŒsse fĂŒr die Kinderbetreuung sowie weitere flexiblere Arbeitsmodelle, bei denen die Wochenarbeitszeit auf bis zu 48 Stunden verlĂ€ngert werden kann. Zudem geht es um die Möglichkeit, den Urlaub unbezahlt verlĂ€ngern zu können, oder um Gleitzeit und neue DienstvergĂŒtungen fĂŒr die Ärzte.

Höhere Erlöse sollen Kosten mehr als einspielen

DafĂŒr rechnet Lehotzki derzeit mit Kosten von sechs Millionen Euro, erwartet aber eben auch mehr Leistungen, die sein Haus kĂŒnftig erbringen kann. Aktuell werde mit zusĂ€tzlichen Erlösen in Höhe von mindestens zwölf Millionen Euro kalkuliert, sagt er. Die Kosten gegengerechnet, bliebe ein Plus von sechs Millionen Euro, mit dem die kommunalen Haushalte von Stadt und Kreis, die jeweils 50 Prozent am Klinikum halten, entlastet werden könnten.  

Dass seine Rechnungen aufgehen können, zeige insbesondere der Erfolg der E-Autos, von denen es insgesamt 775 gibt, betont Lehotzki. Mit den 95 gewonnenen VollzeitkrĂ€ften habe der Anteil der ArbeitnehmerĂŒberlassung schon deutlich verringert werden können. FĂŒr den Klinikchef ist es ein Erfolgsprojekt, „von dem ich noch immer total begeistert bin“. DarĂŒber hinaus hat das Haus unter anderem mit dem New-Work-Projekt „Meine Station“ von sich reden gemacht, das mit Preisen ausgezeichnet wurde und dessen AnsĂ€tze in andere Bereiche des Klinikums ĂŒbertragen werden sollen.

Das Klinikum Aschaffenburg-Alzenau wird zu gleichen Teilen von der Stadt und dem Landkreis getragen.

FĂŒr die aktuell anstehenden nĂ€chsten Schritte hat sich das Klinikum grĂ¶ĂŸtmögliche Transparenz verordnet – weil zuletzt, insbesondere bei der KAV-KĂŒndigung, nicht alles rund lief in der Kommunikation. Auch deshalb wurde ein neuer WhatsApp-Kanal eingerichtet, in dem regelmĂ€ĂŸig aktuelle Fakten veröffentlicht werden, und Anfang September ging eine spezielle „ErklĂ€r-Website“ online. Viele Fragen, die in mehreren Mitarbeiterversammlungen aufkamen, werden noch einmal beantwortet, ein „Faktenchecker“ gehört dazu, auch die Briefe des KAV zur RĂŒge und zur KĂŒndigung der Mitgliedschaft sind fĂŒr alle öffentlich zugĂ€nglich. Zudem wird auf der Seite regelmĂ€ĂŸig ĂŒber den aktuellen Stand informiert.

Die Tarifdebatte trifft das defizitĂ€re Klinikum in einer Phase, in der ohnehin einiges im Umbruch ist. Zuletzt haben Lehotzki und sein Team etwa an zahlreichen Prozessen gefeilt, Sachkosten gesenkt und den Einkauf neu strukturiert und so dafĂŒr gesorgt, dass sich das Defizit im Vergleich zum Jahr 2023 voraussichtlich „nur“ um sieben Millionen Euro erhöhen wird. Gleichzeitig laufen mehrere Bauprojekte – so entstehen ein neues OP-Zentrum, ein Herzkatheter-Labor und ein Eltern-Kind-Zentrum.

Neuausrichtung in Alzenau – PflegekrĂ€fte aus China

Parallel dazu steckt der Standort Alzenau in der Neuausrichtung. Die Notaufnahme wurde geschlossen, dafĂŒr ist eine internistische Tagesklinik in Betrieb gegangen, und demnĂ€chst soll ein ambulantes OP-Zentrum samt Kurzliegerstation eröffnen. Zudem wird die Geriatrische Rehabilitation erweitert. Bis Ende des Jahres, so Lehotzki, solle der grĂ¶ĂŸte Teil des Wandels abgeschlossen sein.

Damit sich auch die Personalsituation weiter verbessert, engagiert sich das Haus zunehmend im Ausland. 14 mexikanische PflegekrĂ€fte arbeiten bereits seit 2022 in Aschaffenburg, im Herbst sollen neue BeschĂ€ftigte aus Indonesien starten, und jetzt lĂ€uft außerdem ein mehrjĂ€hriges Projekt in China. Dabei kooperiere das Klinikum aktuell mit vier chinesischen UniversitĂ€ten und Pflegeschulen, sagt Sebastian Lehotzki, der dafĂŒr selbst in Peking war. Die ersten 30 BeschĂ€ftigten aus China will er im nĂ€chsten Jahr in Unterfranken willkommen heißen.

Quelle: Jens Kohrs (Freier Journalist) 2024. Thieme

 

Ein Klinikum soll so zugĂ€nglich sein wie möglich. Diesen Umstand machten sich mehrere Diebe in MĂŒnchen jetzt zu Nutze und entwendeten teure medizinische GerĂ€te aus einem Krankenhaus.

Vermutlich ĂŒber die Notaufnahme verschafften sich zwischen dem 20. und 21 Juli Personen Zugang zum Harlachinger Krankenhaus in MĂŒnchen. Die Unbekannten stahlen dabei medizinische GerĂ€te im Wert von rund 400 000 Euro.

Die Polizei geht nach ersten Erkenntnissen davon aus, dass die TÀter die Klinik durch die Notaufnahme betraten und von dort in die UntersuchungsrÀume weiterzogen. Dort nahmen sie den Angaben zufolge unter anderem endoskopische GerÀte mit.

Wie es ihnen gelang, diese unbemerkt aus dem Krankenhaus zu befördern, war am 24. Juli zunÀchst unklar. Die Polizei ermittelt. 

Quelle: dpa/hnle